Hyperreality ist ein jährlich stattfindendes Festival für experimentelle und elektronische Musik, das auch heuer in einer Off-Location in Wien stattfindet. Für die Ausgabe 2025 zieht Hyperreality wieder in das Otto-Wagner-Areal und funktioniert die ehemalige Industrieküche am 23. und 24. Mai zur Festival-Location um.
Do You Believe in Reality?
In einer Ära, in der Repräsentationalismus die Grenzen zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit verschwimmen lässt, besteht Hyperreality darauf, dass Musik die Kraft hat, uns in der Realität zu verankern—und sich gegen kommerzialisierte Narrative und kulturelle Homogenisierung zu wehren. Die Ausgabe 2025 setzt dieses Ethos fort, mit einem Line-up, das Kontinente und Disziplinen überspannt und queere, feministische und dekoloniale Stimmen in experimenteller und elektronischer Musik verstärkt.
Heute touren viele DJs pausenlos, spielen in Clubs und auf Festivals, ohne viel mehr beizutragen als ihre Performances. Shawn Reynaldo beschreibt diese Künstler*innen als „Ryanair-DJs“—eine Reflexion eines breiteren Trends, in dem Musik zunehmend zu einem Akt der Selbstvermarktung wird, anstatt eine treibende Kraft für künstlerische oder soziale Bewegungen zu sein. In einer Welt, in der Wahrnehmung oft mehr zählt als Substanz, bleibt Hyperreality der elektronischen Musik als Raum für kulturelle, künstlerische Erneuerung und Diskurs verpflichtet.
Dieses Ethos findet sich im Line-up 2025: DJ Cashu gründet 2013 gemeinsam mit Carneosso das Kollektiv Mamba Negra – eine Initiative, die durch unabhängige, selbstverwaltete Veranstaltungen in verlassenen Räumen und besetzten Häusern Plattformen für vielfältige Künstler:innen schafft. Diese aus São Paulos Underground entstandene Bewegung verkörpert Rave-Kultur als Widerstand und löst die Grenzen zwischen Musik, Performance und Protest auf. Am Hyperreality 2025 legt Cashu nicht nur auf, sondern kuratiert ein Mamba Negra Showcase mit der fünfköpfigen Band Teto Preto, der kubanisch-spanische DJ und Honey Club-Mitbegründerin TOCCORORO sowie den lokalen DJs Thao und olgicia.
Lyra Pramuks neues Album Hymnal erscheint am 13. Juni auf ihrem eigenen Label pop.soil und erforscht die Stimme als Gefäß für Trauer, Heilung und kollektives Ritual. Aufbauend auf der posthumanen Vokalsprache ihres Albums Fountain verbindet sie in ihrer Live-Performance klassische Vokalelemente, elektronische Experimente und folkloristische Spiritualität – eine Neuinterpretation der Stimme in der zeitgenössischen Klangkunst, die zugleich archaisch und futuristisch wirkt.
Auf derselben Bühne spielt Whatever the Weather, das Alias von Loraine James. Während Veröffentlichungen unter ihrem eigenen Namen—auf dem renommierten Label Hyperdub—stärker IDM-beeinflusste, vokalbetonte Kollaborationen sind, bietet Whatever The Weather eine introspektivere, impressionistischere Perspektive. Ihr neues Album verlagert den Fokus noch weiter auf Textur, Harmonie und Melodie.
Moin re-kontextualisieren gitarrenbasierte Genres, indem sie Elemente von Post-Punk, Noise-Rock und experimenteller Clubmusik vermischt. Das Londoner Trio, bestehend aus Tom Halstead und Joe Andrews (von Raime) sowie die visionäre Perkussionistin Valentina Magaletti—schafft Musik, die sowohl vertraut als auch tief dekonstruiert wirkt. Bei Hyperreality wird Magaletti sowohl mit Moin als auch in einem Solo-Set auftreten, in dem sie sich mit Projekten wie Batterie Fragile und A Queer Anthology of Drums mit Textur und Identität auseinandersetzt. RojinSharafi, eine in Teheran geborene, in Wien lebende Klangkünstlerin, verbindet rohe Emotionen mit analogen, akustischen und digitalen Elementen. Ihre gefeierten Werke (darunter Urns Waiting to be Fed und das Debüt von HUUUM) verweben iranische Einflüsse mit metallischer Perkussion und experimentellen Texturen. Bei Hyperreality 2025 wird sie eine neue Show präsentieren.
Für marginalisierte Körper können Clubs sowohl unterdrückend als auch befreiend sein. Ashland Mines, bekannt als Bobby Beethoven (aka Total Freedom), erforscht diese Spannung seit über einem Jahrzehnt—er zerstört die traditionell Struktur von DJ-Sets, um das Tanzbare neu zu definieren. Seine Fähigkeit, Club-Energie zu komprimieren, und der Umgang mit CDJs als Instrument, hat ihm einen ikonischen Status weit über die Underground-Szene eingebracht. Bei Hyperreality spielt Bobby Beethoven b2b mit Salt Server.
Mines’ disruptiver Ansatz erstreckt sich auf ein breiteres Netzwerk von Künstler*innen, die die elektronische Musiklandschaft neu gestalten. Cities Aviv verschmilzt Hip-Hop, experimentellen Klang und Aktivismus zu einer Musik, die sich (im Eigenverlag und ohne Agentur) der Kommerzialisierung entzieht und stattdessen als klanglicher Akt des Widerstands und der Neuerfindung fungiert. Lucia Kagramanyan ist in elektronischem Experimentieren und politischer Kritik verwurzelt. Upsammy navigiert durch die Schnittstellen von IDM, Ambient und Techno und erschafft Klanglandschaften, die Linearität und Erwartung herausfordern.
Während sich die Referenzen vieler Künstler*innen am Hyperreality Lineup über die heutige Dance-Music-Landschaft hinaus erstrecken, stehen sie auf den Schultern von Pionier*innen wie Tama Sumo und Lakuti, die die Szene seit Jahrzehnten prägen. Lakuti und Tama Sumo, bekannt für ihre einflussreiche Arbeit bei OstgutTon und ihre langjährige Your Love-Reihe in der Panorama Bar, werden bei Hyperreality b2b auftreten. Ähnlich wie DJ Terror b2b Katia Curie setzten sie sich für Inklusion am Dancefloor und dahinter ein. Jung an Tagen, alias Stefan Juster, erforscht seit zwei Jahrzehnten die Grenzen des Techno und hat Releases auf Labels wie Editions Mego (das heuer 30. Jubiläum feiert) und Diagonal. Seit 2020 betreibt Juster das Wiener Netz-Label ETAT.xyz. Bei Hyperreality 2025 wird er sein neues Album (oder Konzept) The Revenge of the Speaker People präsentieren.
Der in Paris ansässige Emma DJwird seine erste Live-Show beim Rewire Festival in Den Haag präsentieren, mit Hyperreality als einer der nächsten Stationen. Bekannt für seine rohe, schwer zu definierende Produktion, bewegt sich sein neues Material in Richtung Hyperpop-Elemente—und bereitet die Bühne für DJ g2g dessen Sets lateinamerikanische Clubrhythmen—Perreo, Cumbia und Guaracha—mit Four-to-the-Floor-Beats verbinden.
Jenseits des klassischen Club- und Konzert-Kontexts erschafft Hyperreality immersive Räume für internationale und lokale Künstler:innen, die Musik als transgressive Kunstform verstehen – eine, in der Klang, Performance und Architektur als gleichwertige Parameter miteinander verschmelzen. 2025 manifestiert sich dieser Ansatz auch in einem Kunstprojekt: Lesbian Bar. Was als künstlerische Initiative begann, hat sich zu einem realpolitischen Raum entwickelt. Die Lesbian Bar hinterfragt bestehende Hierarchien in der Clubszene und deren Verhältnis zu Safe Spaces: Lesbian Bar schafft einen Ort für den *lesbian gaze. *Dieser Raum richtet sich an alle D¥kes (transfemininer, transmaskuliner, nicht-binärer, intersexueller und cis D¥kes sowie bi- und ace D¥kes) und FLINTA*-Personen. Er steht allen offen, die davon profitieren können – auch Freund:innen und Allies, solange eine respektvolle Atmosphäre gewahrt bleibt.
Evelyn Plaschg, die auch einen Hintergrund in bildender Kunst hat, kreiert immersive Klangperformances, in denen sie Tenorblockflöte, Gesang und elektronische Synthesizer mit Field Recordings verbindet. Sie wird das Hyperreality am 23. Mai eröffnen.
LINE UP (alphabetisch) Bobby Beethoven b2b Salt Server Cashu Cities Aviv (live) DJ Diamond DJ g2g DJ Terror b2b Katia Curie Emma DJ (live) Evelyn Plaschg (live) Jung an Tagen: Revenge of the Speaker People (live) Lakuti & Tama Sumo Lesbian Bar Lucia Kagramanyan Lyra Pramuk: Hymnal (live) Mamba Negra Showcase Moin (live) Olgica Rojin Sharafi (live) Teto Preto (live) Thao TOCCORORO Upsammy Valentina Magaletti (live) Whatever the Weather (aka Lorain James) (live)