Die 62. Viennale wird von einem Motiv repräsentiert, das aus den Tiefen des Meeres stammt: Eine Alge namens „delesseria lancifolia“ fungiert als Initialzündung, sozusagen als Absprungpunkt, erinnert sie in ihrer Form doch an ausgebreitete Flügel und an das Sich-Empor- schwingen. Das Bild des Aufbruchs hat auch die diesjährige Filmaus- wahl motiviert, die aus allen Ecken und Enden des Globus Perspekti- ven zusammenträgt, die über die Welt reflektieren und an ihren Sor- gen teilhaben. Denn aus unserem immer unruhiger werdenden Schlaf wachen wir täglich zu einem neuen Kriegstag auf. Also tragen wir, in dieser für unsere Zivilisation so dunklen Zeit, im Rahmen unserer Möglichkeiten dazu bei, den Raum für Begegnung und Dialog zu bewahren, zu bieten, zu schützen – und damit friedlich, aber kon- sequent Widerstand zu leisten gegen das, was eine Politik der Intole- ranz zu verbergen und dabei doch gleichzeitig zu verbreiten versucht: Verachtung.
Das gründliche Nachdenken über Politik zieht sich ebenso durch die unterschiedlichen Programmsektionen wie die genaue Untersuchung zwischenmenschlicher Beziehungen. Zahlreiche der ausgewählten Filme drehen sich um junge Menschen, betrachten sie in ihrer Gegen- wart, zeigen ihr Verhältnis zu einer ungewissen Zukunft. Ein weiteres virulentes Thema ist der Umgang des Menschen mit Flora und Fauna. Und nicht nur in diesem Kontext werden jene ethischen Kategorien und Definitionen einer kritischen Betrachtung unterzogen, die dem Begriff des Individuums zugrunde liegen. Womit weitergehend Fragen aufgeworfen sind nach der Rolle eines solcherart definierten Individu- ums in einer sozialen Gemeinschaft und, vor allem, nach dessen Ver- antwortlichkeit. Das zeitgenössische Kino stellt – unverblümt, aber auch kreativ und inspirierend – Werte und Moral einer Welt in Frage, welche auf Machtstrukturen beruht, die in der derzeitigen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise zu bröckeln beginnen.
Doch wie vielfältig in Formen und Themen unser Filmprogramm auch immer sein mag, so ist uns doch bewusst, dass das darin entworfene Bild der Welt und ihrer Probleme niemals allumfassend ausfallen kann. Also besteht unser Festival nicht nur aus Filmen, sondern auch aus sämtlichen Begegnungen, Gesprächen und Aktivitäten, die es durchziehen und umrahmen. Dabei fungiert das Metro Kinokultur- haus in bewährter Manier nicht nur als ein Ort, an dem Filme gezeigt werden, sondern auch als Treffpunkt, als Raum für Dialog, für Gesprä- che und Begegnungen mit Filmemacher:innen. Außerdem werden sich freilich wieder einige Gelegenheiten zum Feiern ergeben; in diesem Jahr in Kollaboration mit ikonischen Locations des Wiener Nacht- lebens.